125 Jahre Jugendweihe in Hamburg
In Hamburg wurde im Frühjahr 1882 die »Freidenker-Gesellschaft Hamburg« gegründet. Schon Anfang 1886 wurde versucht, die Einrichtung von Schulen für Konfessionslose zu erreichen, jedoch ohne Erfolg.
Während sich in Hamburg die Freidenker noch stritten, wurde in Barmbek, damals noch selbständig, heute ein Stadtteil von Hamburg, die erste öffentliche proletarische Jugendweihe vom Tischler und Gastwirt Peter Blesgen durchgeführt. Er war einer der Leiter des Hamburger Tischlerstreiks im Jahre 1887 und gehörte mehreren Arbeitervereinen, zum Teil als Vorstandsmitglied, an, so dem »Fortbildungsverein von Barmbek-Uhlenhorst« und der »Freidenker-Gesellschaft«.
Im »Hamburger Echo«, Jahrgang Nr. 72 vom 26. März 1890 war zu lesen: »Zur Erinnerung an die Schulentlassung der Kinder, welche nicht konfirmiert werden, war am Montagabend in Barmbek im ›Viktoriagarten‹ eine eigenartige, recht ansprechende und erhebende Familienfeier veranstaltet. An der Feier nahmen 23 entlassene Schüler und Schülerinnen mit ihren Eltern und sonstigen Angehörigen und Freunden, im ganzen 350 Personen, teil. Die Einleitung bildeten drei Redeakte über die ›Bedeutung der Konfirmation‹, ›Aberglaube und Wissenschaft‹ und ›Das Leben nach der Schulzeit‹. Den übrigen Teil des abwechslungsreichen Programms bildeten Chorgesänge der Liedertafel des Fortbildungsvereins Barmbek, diverse Soli, Quartettgesänge, Terzetts, Duetts, ernste und humoristische Vorträge. Zum Schluß wurden Schattenbilder vorgeführt. Zwischendrein fand eine gemeinschaftliche Festtafel statt, bei welcher selbstverständlich ebenfalls von mehreren Seiten der Bedeutung des Tages entsprechende Toast ausgebracht wurden. Der ganze Eindruck des Festes war ein so vorzüglicher, dass es wohl allen Teilnehmern lange im Gedächtnis bleiben wird, vor allem aber den teilnehmenden der Schule entwachsenen Kinder, denen die ernsten ermahnenden Worte hoffentlich recht tief im Gedächtnis haften und ihnen ein Sporn sein werden, sich in der Zukunft zu recht tüchtigen und brauchbaren Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu entwickeln.«
Nach dieser ersten öffentlichen Jugendweihe-Feier wurde in der Freidenker-Gesellschaft am 31. März 1890 diskutiert: »Ist es wünschenswert, daß wir Freidenker Festlichkeiten unter uns einführen?« Die Diskussion ist uns durch das Protokoll eines Spitzels der politischen Polizei erhalten geblieben: »Ich bin der Ansicht, keine Feste zu feiern, auch nicht die Konfirmation, denn ein aufrichtiger Freidenker kann die Konfirmation nicht als Festlichkeit betrachten. - Ich bin auch gegen alle gemachten Feste ..., welche ... doch nur zum Zwecke des Saufens und Fressens dienen. Ich bin entschieden dagegen. - Führt Z. an, daß er Gegner aller Festlichkeiten sei, doch würde er dafür sein, dass man betreffend der ... aus der Schule entlassenen Kinder ein kleines Fest veranstalte ... Wir wollen dies auch nicht ein Fest nennen, wir wollen ja nur den Kindern einige gute Worte mitgeben. - S. stellt den Antrag, den aus der Schule entlassenen Kindern ein Geschenk in Form eines Buches freidenkerischer Richtung zu machen, zu welchem Zweck ... ein Fest im Sinne einer Versammlung zu veranstalten ist. - Für uns ist die Natur das, was für andere das Gotteshaus ist. Doch bin ich dafür, die Konfirmation zu feiern, um nicht unsere Kinder anderen gegenüber zurückzusetzen.«
Durchgesetzt haben sich wohl die Gegner einer Feier, denn zeitgleich mit den Anmeldungen für den Konfirmandenunterricht beginnt die Freidenker-Gesellschaft Ende September 1890 mit einer monatelangen Agitation für die Einführung eines regelmäßigen Jugendunterrichts. Von einer Feier war keine Rede. Es erscheinen Aufrufe im »Hamburger Echo« sowie ein Flugblatt »Mahnwort an alle«, welches mit den Worten schließt: »... ihr Einwohner Hamburgs, betätigt euren Sinn für die Befreiung der Menschheit. ... Die künftige Generation muß frei und unabhängig sein, darum entzieht eure Kinder der kirchlichen Taufe, entfernt sie vom Religionsunterricht und schafft ein ›freies, unabhängiges Geschlecht‹, das auf dem von den Vorfahren gepflügten Boden säen und ernten kann zum Nutzen der Kultur und zum endlichen Frieden der Menschheit auf Erden!«
An dem Unterricht der Freidenker-Gesellschaft nahmen im Frühjahr 1891 etwa 300 Kinder teil. Die Schulentlassungsfeiern in Barmbek und Hamburg besuchten aber nur etwa 70 Kinder. Wieder war es Peter Blesgen, der sowohl die Feier in Barmbek mit etwa 30 Kindern als auch die Feier in Hamburg mit etwa 40 Kindern gestaltete.
Bis 1907 wurden die Schulentlassungsfeiern »Stiftungsfest der Freidenker-Gesellschaft« genannt. Nach der Bildung des Zentralverbandes proletarischer Freidenker im Jahre 1908 nahmen die Teilnehmerzahlen weiter zu. Es wurde wieder von Schulentlassungsfeiern gesprochen und es nahmen nur noch diejenigen Kinder am vorbereitenden Unterricht teil, die dann zu Ostern auch die Schule verließen.
Im Verlauf der Spaltung der Arbeiterbewegung kam es auch in der Jugendweihe in Hamburg immer wieder zu Spaltungen. 1921 wird die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe gegründet. Schon 1922 nahmen etwa 1.200 Kinder an der Feier teil, 1923 waren es schon 1.500 und 1924 bereits 1.700. Der Höhepunkt war 1929 mit 2.600 Kindern, was bedeutete, dass etwa ein Fünftel aller Schulabgänger an den Jugendweihen der Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe teilgenommen haben.
Sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde, wie so viele andere Organisationen der Arbeiterbewegung, die Jugendweihe in Hamburg verboten.
Schon bald nach der Befreiung 1945 trafen sich verschiedene Anbieter von Jugendweihen, die den Faschismus überlebt hatten, und gründeten die Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe neu. Diesmal sollte sie alle verschiedenen Richtungen unter einem Dach vereinigen. Es sollte in Hamburg nur noch einen Anbieter von Jugendweihen geben.
Im Jahre 1946 fand die erste öffentliche Jugendweihe im Capitol Hoheluft statt. Schnell konnte sich die Arbeit konsolidieren. Die Nachfrage stieg von Jahr zu Jahr. Ihren Höhepunkt erreichte sie 1953 mit mehr als 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Danach sanken die Zahlen kontinuierlich. Ende der siebziger lagen sie bei 750 um schließlich bis heute auf etwa 50 Jugendliche zu sinken.
1982 kam es zu einer Abspaltung der Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe. Die Jugendweihe Hamburg wurde gegründet. Vorausgegangen waren ein langjähriger Streit über die Feiern, wie feierlich sie sein müssten, wie politisch sie sein dürften. Einigkeit herrschte, dass Parteipolitik in der Jugendweihe nichts zu suchen hatte. Aber mussten die Feiern nur feierlich sein? Junge Menschen, die in den Jahren der Studenten- und Schülerbewegungen Ende der 60ger und Anfang der 70ger politisiert wurden, kamen nun als Kursusleiterinnen und Kursusleiter zur Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe. Sie wollten die Themen aus den Kursen auch auf den Feiern zum Inhalt machen. Esther Bejarano, letzte Überlebende des Mädchenorchesters von Auschwitz sang ihre Lieder, Jugendarbeitslosigkeit und Atomkraft, Frieden und Gleichberechtigung wurden thematisiert.
Nach der Feier 1981 kam es zum Eklat. Eine Minderheit von fast ausschließlich älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konnte sich nicht durchsetzen und ging. Seitdem gibt es in Hamburg, was der Öffentlichkeit kaum verständlich gemacht werden kann, zwei Anbieter von Jugendweihen.
In Vorbereitung der 100-Jahr-Feier 1990 gelang es, wieder ein gemeinsames Kursusverzeichnis und eine gemeinsame Feier zu veranstalten. Diese Gemeinsamkeit hielt noch ein Jahr. Nach der Feier 1991 verabschiedete sich die Jugendweihe Hamburg wieder einseitig. Dies führte dann dazu, dass viele ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch ehemalige Vorsitzende der Jugendweihe Hamburg e.V., wieder zurück zur Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe gingen.
Wir laden ein, an der Jugendfeier am 23. Mai 2015 um 10.30 Uhr (Einlass 10.00 Uhr) in der Friedrich-Ebert-Halle in Harburg teilzunehmen. Karten sind an der Tageskasse zum Preis von 7,- € erhältlich.
Helmuth Sturmhoebel
1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe Groß-Hamburg e.V.