Die SPRACHE DER RECHTEN

Kategorie: Aktuell Veröffentlicht: Dienstag, 26. Juli 2005
“Weiterwirken des gedanklichen Gifts der Vokabeln": Die Nachkriegskarriere des Nazivokabulars

Hans-Magnus Enzensberger kritisierte, dass Arbeiter den Ausdruck “bis zur Vergasung" im Sinne von "bis zum Umkippen" benutzten. Heinrich Böll beklagte, dass in der Öffentlichkeit niemand aufschrie, wenn einer das Wort "ausmerzen" verwendete. Victor Klemperer forderte in posthum veröffentlichten Tagebüchern, die sein Alltagsleben als rassisch verfolgter Philologe während der Nazidiktatur und deren Sprache ("Lingua Tertii Imperii") schildern, man sollte belastete Wörter vergraben wie schmutziges Geschirr. Ist das geschehen? Bis heute führen Schlüsselwörter aus der Nazizeit ein Eigenleben. Hat sich ihre Bedeutung geändert, sind sie instrumentalisiert worden? Von wem?

  Am Lehrstuhl für deutsche Philologie und Linguistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf geht man diesen Fragen nach. Im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erstellen Thorsten Eitz, Katrin Berentzen und Reinhild Frenking in zwei Jahren ein Wörterbuch der Nazivokabeln und deren Verwendung, aber auch über die öffentliche Diskussion dazu bis in die Gegenwart. Geleitet wird die Arbeit von Georg Stoetzel, der 2002 ein "Zeitgeschichtliches Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" herausgab. Stoetzel: "In gewisser Weise schließen wir an das Handbuch von 1998 zum Vokabular des Nationalsozialismus von Cornelia Schmitz-Berning an. Seltsamerweise gibt es aber bis heute keine systematische Aufarbeitung des Nazivokabulars über 1945 hinaus."




 
Anhand von öffentlich als Naziwortschatz deklariertem Vokabular wollen die Germanisten "Wortkarrieren" und deren historische Zusammenhänge untersuchen, um zu zeigen, wie Denkmodelle der Naziideologie reproduziert werden. Das Wort "Großraum" etwa findet immer noch Verwendung in Verkehrs- oder Wettermeldungen. Ursprünglich wurde es im Zweiten Weltkrieg für Rundfunkdurchsagen über feindliche Bombenangriffe und Kampfhandlungen benutzt.



Grundlagen der Recherche sind Zeitungen, Zeitschriften, Fachliteratur, Gerichts- und Bundestagsprotokolle. Zunächst wird ein Lexikon von zirka 150 Wörtern der Gegenwartssprache erarbeitet, dann ihre Wortgeschichte verfolgt. Beispielsweise enthalten sind: "Anschluss", "artfremd" "Ausmerzung", "Endlösung", "gaskammervoll", "Gleichschaltung", "Konzentrationslager", "Machtergreifung"/ "-übernahme"/ -"übergabe", "Mischehe", "Selektion", "Kristallnacht".
 

Ziel ist zum einen eine empirisch-verlässliche Untersuchung. Stoetzel: "Dann wollen wir auch die These vom ›Weiterwirken des gedanklichen Gifts der Vokabeln‹ prüfen. Es muss sichtbar werden, wer wann in welchem Zusammenhang welche Vokabel verwendet hat."



Bisherige Studien zeigen, dass die Geschichte der Vergleiche schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit beginnt. Da ist in West-Zeitungen von der "Machtergreifung der SED" die Rede, von der DDR als "Ulbrichts KZ". Die Germanisten wollen erfassen, wann welche Vergleiche aufgrund welcher Intentionen auftauchen.



Besonders zu Jahrestagen sind die Quellen ergiebig. Wie berichten die Zeitungen etwa über den 6. Juni 1944? War es "die Invasion" (aus Sicht von Nazideutschland), die "Landung" (aus Sicht der Franzosen), der "D-Day" (aus Sicht der Amerikaner)? Und der 8. Mai 1945? Noch Willy Brandt hütete sich als Bundeskanzler, von "Befreiung" zu sprechen. Erst Richard von Weizsäcker benutzte das Wort 1985 an zentraler Stelle.  



(idw/jW)



 
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http://www.jungewelt.de/2005/02-24/023.php