Kosmosbändchen – eine Ausstellung im Bürgertreff JETZT in Hamburg Steilshoop

Kategorie: Hamburg Veröffentlicht: Freitag, 17. September 2010

Im Hamburger Stadtteil Steilshoop wurde im Bügertreff JETZT bis zum 17.September 2010 eine Ausstellung zu den Kosmosbändchen gezeigt. Zu sehen waren Faksimiles von rund fünfzig Titelbilder der zwischen 1904 und 1980 erschienenen Reihe sowie ca. 100 Bändchen aus einer Hamburger Privatsammlung. Dem Ausstellungsveranstalter ging es darum, mit der Auswahl etwas von dem jeweiligen Zeitgeist einzufangen.

Die Hamburger Freidenker hatten für den 15. September zu einem Vortragsabend mit Dr. Martin Kersting zu den unscheinbaren, aber weit verbreiteten Büchlein eingeladen. Anhand der Ausstellungsbilder erläuterte Kersting die Entstehungsgeschichte sowie das politische, naturwissenschaftliche und ästhetisch-literarische Umfeld der Reihe.

So ist der Franckh-Verlag 1904 mit der Absicht angetreten, das Deutungsmonopol der Welt durch die Geisteswissenschaft und die Theologie zu brechen. Gleich der erste Jahrgang ist ein Kontrastprogramm zu der Bibel. Wilhelm Bölsche schreibt über „die Abstammung des Menschen“ und setzt damit eine naturwissenschaftliche Gegenposition zum Genesisbericht, während das Ende – die Apokalypse – durch Max Wilhelm Meyers „Weltuntergang“ gesetzt wird.

Der erste Weltkrieg und vor allem die Kriegsvorbereitungen haben auch ihre Auswirkungen auf den Charakter der Kosmosbändchen gehabt. So mehren sich Titel, die sich einer militärischen Metaphorik („Auf Vorposten im Lebenskampf“, „Vom sieghaften Zellenstaat“) bedienen. Auch Autoren, die sich vor dem Krieg durch abgewogene humanistische Positionen auszeichneten, verfallen in einen nationalen Taumel und begeben sich auf die „Deutschland, Deutschland über alles“-Position.

Die Titelbilder ereichten in den Zwischenkriegsjahren ein künstlerisches Niveau, an das nie wieder angeknüpft werden konnte. Etwas verspätet hielt vor allem eine Popularform des Jugendstils Einzug in das Programm.

Für eine Reihe mit naturwissenschaftlicher Themengebung hielten sich die nationalsozialistischen Ausfälle in Grenzen. Zwar gibt es Bände, welche die ekelhaften Statistiken, etwa wie viele „erbgesunde“ Familien von den Kosten, die ein Alkoholiker oder Epileptiker verursacht, leben könnten; die Mehrheit der Beiträge waren jedoch nach wie vor einer wissenschaftlichen Neutralität verpflichtet.

Der nationalsozialistische Rassenunsinn kommt – für Kenner der Zeit gar nicht als so überraschend -  erst in den späten vierziger und den fünfziger Jahren zum Tragen. So spricht der Chemiker Hermann Römpp den australischen und afrikanischen Völkern ihr Menschsein überhaupt ab.

Nachdem in den sechziger Jahren die Kosmosbändchen einen sehr frühen Beitrag zur Entwicklung eines ökologischen Bewusstseins geleistet haben, scheint der Verlag nach 1970 das Interesse an ihnen verloren zu haben. Schon von vorne herein für andere Reihen konzipiert konnten die Büchlein ihrer Brückenfunktion zwischen Natur- und Geisteswissenschaften nicht mehr gerecht werden, so dass die Reihe nach 304 Titeln eingestellt worden ist.

(Dr. Martin Kersting)